Aus der NGZ vom 24. Januar 2004
Stoffhund "Wusel" hilft den Kindern zu trauern

Kaarst. Kinder trauern anders – oft so, dass es für Erwachsene nicht ungedingt nachvollziehbar ist. Die Hospizbewegung Kaarst hat seit Mai 2000 rund 45 Kinder im Alter zwischen sieben und 16 Jahren betreut, die lernten, nach einem Trauerfall in ihrem sozialen Umfeld ihr Leben neu zu ordnen und in der Gruppe neue Perspektiven zu entwickeln. Das geschieht alle 14 Tage im Haus Regenbogen auf der Elchstraße – auf höchst unterschiedliche Weise zwar, aber immer unter der Leitung von Wolfgang Jacobs (61) von der Hospizbewegung und der Ärztin Cordula Krause (49). Absolute Diskretion ist dabei oberstes Gebot.

Der Stoffhund Wusel ist das Gruppentier – Wusel wirkt schon arg mitgenommen. Wenn ein Kind in der Gruppe spricht, greift es zu diesem Hund, das ist ein festes Ritual. Welche Verluste haben die Kinder, die alle 14 Tage ins Haus Regenbogen kommen, zu verarbeiten? "Es kann der Vater sein, der gestorben ist, die Mutter, Geschwister, Großeltern", so Cordula Krause. Und es ist auch schon vorgekommen, dass Kinder mit dem plötzlichen Tod beider Elternteile fertig werden mussten. Beim ersten Besuch werden die Kids von einem Elternteil oder einen anderen Bezugsperson vorgestellt. Zuvor sind sie von Andrea Lißke im Hospizbüro beraten worden. Ein Grundprinzip: Die Eltern erfahren nicht, was die Kinder erzählen. "Es dringt nichts nach draußen" – das ist Wolfgang Jacobs und Cordula Krause wichtig. Jacobs hat folgende Erfahrung gemacht: "Die Kinder trauen sich zu Hause oft nicht zu trauern – sie wollen niemanden verletzen."

Sie begleiten die Kinder bei ihrer Trauerarbeit: Cordula Krause (l.), Wolfgang Jacobs und Andrea Lißke. 
NGZ-Foto: M. Reuter

"Wir werden hier zum offenen Ohr", weiß Cordula Krause, die in Schwalmtal als Ärztin arbeitet. "Am Anfang", so hat sie beobachtet, "fällt der Abschied von den Angehörigen oft schwer". Aber das ändere sich schnell. Sie weiß, dass die Erwachsenen "viel eher etwas finden, um aufgefangen zu werden". Ihre Gefühlswelt fährt dabei nicht selten Achterbahn: Bei allem Frust, bei aller Wut und Traurigkeit – Kinder können schnell den Hebel herumreißen, sind schnell wieder fröhlich. Sie gehen mit der Trauer geradliniger um, was an ihrem absoluten Überlebenswillen liegt. Trotzdem sind natürlich auch sie traurig, wenn ein Todesfall in ihrem Umfeld zu beklagen ist. In der Trauergruppe kommen sie in der Regel schnell aus ihrem "Schneckenhaus" heraus. Was passiert denn alle 14 Tage mittwochs von 15.30 Uhr bis 17.00 Uhr im Haus Regenbogen? Da wird vorgelesen, gebastelt, Tischtennis gespielt. Rollenspiele sind ebenso möglich wie Karaoke. Da fließen zwar auch immer wieder Tränen, es wird aber auch neue Lebensenergie freigesetzt. "Wenn jemand nichts sagen möchte, akzeptieren wir das." Meistens wirkt es jedoch ansteckend, wenn sich andere Kinder zu ihrer Situation äußern. Die Kinder stellen auch untereinander Fragen – "Fragen", so Cordula Krause, "die wir in dieser direkten Form so nie stellen würden". Die Möglichkeit, anderen trauernden Kindern zu begegnen, hilft ihnen, sich in dieser Ausnahme-Situation besser zu verstehen und anzunehmen. Wie lange dauert die Trauerarbeit in diesem geschützten Raum? Nun, in der Regel kommen die Kids ein halbes Jahr nach Kaarst. Da es weit und breit kein vergleichbares Angebot gibt, kommen die Kinder auch aus den umliegenden Städten. Wer eines Tages glaubt, erfolgreich Trauerarbeit geleistet zu haben, meldet sich in der Gruppe ab.

Rudolf Barnholt

Mit freundlicher Genehmigung der Neuß-Grevenbroicher Zeitung

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